SOFT FOCUS – performance and installation
Eva Borrmann & Arina Essipowitsch
Die Choreografin Eva Borrmann widmet sich in ihrer Tanz- und Theaterproduktion „Soft Focus“ den Fotografien David Hamiltons und stellt damit Fragen zum Thema Weiblichkeit, Körper und Kitsch.
Ausgehend von Borrmanns Bühnenstück entwickelte die Fotokünstlerin Arina Essipowitsch eine faltbare, lebensgroße Fotoinstallation, die sich zwischen Puzzle und Gedächtnisspiel bewegt. Das hier
vorliegende Faltbuch lädt zum eigenen Falten ein und überführt die großflächige Fotoinstallation in den privaten Raum.
Julia Opitz sprach mit Eva Borrmann und Arina Essipowitsch über ihre
künstlerischen Arbeitsweisen und den gemeinsamen Kollaborationsprozess.
Eva, worum geht es in der Bühnenperformance „Soft Focus“?
EB: In meinem Stück suche ich nach einer performativen Auseinandersetzung mit den Fotografien David Hamiltons, die ein sehr eindeutiges Abbild codierter Weiblichkeit zeigen. Jene Bilder von
Frauen – jung, devot und zerbrechlich – wurden vielfach reproduziert und sind visuell in der Gesellschaft verfestigt. Diese Konstruktion von Weiblichkeit dauert bis heute an und bildete den
Ausgangspunkt unserer Produktion. Es geht um die Frage, wer wen befriedigt, wer wen ernährt und wer wen entertaint. Vieles wird mit Gewalt und Kraft in die Körper meiner Performerinnen
eingeschrieben. Nach und nach befreien sie sich davon, dekonstruieren diese Einschreibungen, verschieben Bedeutungen, um jenes tradierte Framing schließlich komplett zu verlassen.
Arina, „Soft Focus“ ist auch eine faltbare Fotoinstallation, was genau bedeutet das?
AE: Ich arbeite analog, mit Schwarz-Weiß-Fotografie, forme und begleite die Bildentstehung in der Dunkelkammer und darüber hinaus. Fotografie interessiert mich dabei nicht als Endprodukt,
sondern als Prozess. Mit meinen Faltinstallationen gehe ich über das zweidimensionale Bild hinaus und gestalte einen fotografischen Körper. Das Bild wird beweglich, es streckt sich aus und fällt
wieder in sich zusammen.
Meine Installation „Soft Focus“ zeigt die beiden Performerinnen aus Evas Bühnenstück,
zwei nackte, ältere Frauenköper in Schwarz-Weiß und nimmt so Momente aus der Performance in einer Art Resonanzraum auf. Durch das Bewegen der einzelnen ellenbogengroßen Module in einer
Live-Performance werden Teile der abgebildeten Körper versteckt und wieder sichtbar gemacht. Daraus entsteht eine fluide, sich stetig verändernde Bildidentität. Ich versuche, die Starrheit eines
Endprodukts zu brechen, indem sich das Bild bzw. die Fotografie unendlich transformieren lässt. Das Falten ist Teilen, aber zugleich auch Multiplizieren. Aus eins wird zwei, aus zwei wird
vier.
Das vorliegende, taschengroße Faltbuch wiederum ist die komprimierte Version meiner Installation, die dann zu den Betrachtenden und zu allen nach Hause wandert, um dort weiter geformt zu werden.
Es gibt sehr viele Faltmöglichkeiten, sodass es Jahre dauern kann, in denen immer neue Facetten hervorkommen und immer wieder neue Kompositionen entstehen.
Worin liegen die Schnittstellen eurer künstlerischen Arbeitsweisen?
EB: Uns verbindet sicher die Betrachtung von Weiblichkeit. Es wird gesellschaftlich konstruiert, wie sich Menschen und im Besonderen Frauen verhalten sollen, wie sie sich bewegen müssen, wie sie
emotional und intellektuell agieren sollen. Das beschäftigt mich in fast allen meinen Arbeiten. Als Choreografin setze ich mich intensiv damit auseinander, wie unsere Körper sozial geformt
werden.
Arinas ästhetische Handschrift spielt genau wie meine stark mit Entschleunigung und Reduktion, hat zugleich etwas Fragiles. Außerdem leugnen wir beide nicht unser Interesse am Traditionellen,
sondern nehmen es immer mit in unsere Arbeiten auf.
Sowohl mein Bühnenstück als auch Arinas Fotografien sind auf Wiederholung angelegt, lassen sich dabei aber nicht auf eine Position festlegen,
sondern zeigen immer offene Prozesse.
AE: Das, was in Evas Stück passiert, geschieht auf eine Weise auch in meiner Installation: Es geht um den Wechsel von einem mehr oder weniger statischen Anfangsmoment zu einem bewegten
Endmoment, um Brüchigkeit, Fragmentierung. Wir arbeiten beide mit Interferenzen zwischen Bild und Körper. Evas Choreografien funktionieren dabei stark über die Atmosphäre im Raum, haben häufig
einen visuellen Fokus, während ich sehr vom Bild selbst ausgehe, das sich in den Raum bewegt.
Wie würdet ihr den gemeinsamen Arbeitsprozess an „Soft Focus“ beschreiben?
EB: Wir haben uns über ein Jahr hinweg während unterschiedlicher Arbeitsphasen in Berlin, Nürnberg, Marseille und Aix-en-Provence besucht. Es war essenziell, dass wir uns nicht nur für das
Produkt der anderen interessierten, sondern den jeweiligen Arbeitsprozess kennenlernten und daran auch aktiv teilgenommen haben.
AE: Ich habe viele Eindrücke aus Evas anfänglichem Probenprozess mit der Kamera festgehalten. In meiner Arbeit gibt es nun einen Moment aus Evas Recherche, der im finalen Bühnenstück nicht mehr
zu sehen ist – wie ein letztes Puzzlestück. Meine Installation wird zu einer Zeugin, die das im Stück Abwesende einfängt, weiterformt und für sich neu definiert.
EB: Wir haben dann den Prozess des Faltens gemeinsam choreografisch geformt und mit den Performerinnen aus dem Bühnenstück final gesetzt. Als eine Art erweiterter Teil des Bildes haben sie nun
die Möglichkeit, im Rahmen einer Performance mit einer Fotografie von sich selbst und mit den Bertachtenden zugleich in Dialog zu treten.
Arina, du sprichst immer wieder von Demokratisierung, die mit deiner Arbeitsweise einhergeht. Was genau ist damit gemeint?
AE: Sobald ich als Künstlerin das Gefühl habe, dass meine Arbeit gemacht ist und ich sie an die Betrachtenden weitergeben kann, ist jener Moment erreicht, den ich als Demokratisierung bezeichnen
würde. Das Bild wird nicht mehr als heilig angesehen, es ist nicht mehr in einem Museumsrahmen mit Schutzglas an der Wand platziert, das man nicht anfassen und nur passiv betrachten darf.
Vielmehr wird es zur beweglichen Installation oder eben zu einem interaktiven Buch.
Dieser Prozess ist immer wieder aufs Neue von einer individuellen Dynamik geprägt. Eine lebensgroße
Installation hat Verbindungen in den Raum, die definieren, wie wir uns als Bild-Machende in diesem Raum bewegen können. Manche Faltkombinationen sind einfach unmöglich, wir werden dann vom Bild
gestoppt. Außerdem bestimmen die Anwesenden die Grenzen, wie weit die Installation sich durch Live-Faltung ausbreiten kann, oder eben nicht. Und sobald das Faltbuch nach Hause mitgenommen wird,
gebe ich die performative Aneignung ganz und gar ab. Demokratisierung bedeutet für mich also, dass alle Anwesenden gleichberechtigt gemeinsam eine immer wieder neue performative Situation
kreieren. Dieser Vorgang ist unplanbar und spontan, das Falten vollzieht sich im Hier und Jetzt.
Wie kommt Zeitlichkeit in euren künstlerischen Sprachen vor?
EB: Ich glaube viele Menschen würden behaupten, dass meine Stücke fordern, etwas ‚auszuhalten‘. Es geht aber vielmehr darum, wieder zu genießen, innezuhalten und mit möglichst großer Offenheit
zu beobachten, was durch Entschleunigung alles passiert. Slow is the fastest way.
AE: Meine Arbeiten sind immer eine Versöhnung mit der Zeit. Das Betrachten und das eigene Falten sollen sich leicht und unbedarft anfühlen. Niemand ist gezwungen, Zeit zu verbringen, sondern das
Bleiben soll intuitiv passieren. Ein Versinken in der Zeit, wie wir es als Kinder unbewusst erleben.
Interview und Text: Julia Opitz